ORTHODOXE EKKLESIOLOGIE , KURZGEFASST

Die Kir­che ist eine geis­ti­ge Wirk­lich­keit. Sie ver­bin­det Him­mel und Erde, Ewi­ges und Zeit­li­ches. Sie ist eins und un­teil­bar, wie der Leib Jesu Chris­ti ei­ner und un­teil­bar ist. Die Ein­heit der Kir­che ist geis­ti­ger und sa­kra­men­ta­ler Art; sie grün­det in Gott und äu­ßert sich in der Glau­bens­treue und im Le­bens­ethos, wie es sich aus dem gott­mensch­li­chen Mys­te­ri­um ergibt.

Ein­heit der Kir­che im or­tho­do­xen Sin­ne ist im Kern Ein­heit in Gott (Joh. XVII. 20–21). Sie kann nicht auf so­zio­lo­gi­sche oder (kirchen-)politische Struk­tu­ren her­un­ter­ge­bro­chen wer­den. Wo eine ir­di­sche In­sti­tu­ti­on sich zum Maß­stab und An­gel­punkt des «Kir­che-seins» macht, ge­schieht Göt­zen­dienst. Und eine «Ein­heit der Chris­ten» in geis­tig-in­halt­li­cher Be­lie­big­keit ist trü­gen­der Schein. Kir­che muß not­wen­dig ka­tho­lisch, all­be­wah­rend sein, sonst ist sie nicht mehr Kir­che. Doch we­der die Ab­hän­gig­keit von ei­nem ir­di­schen Zen­trum, noch ein po­li­ti­scher Kon­sens ver­mag Ka­tho­li­zi­tät zu ge­währ­leis­ten, son­dern al­lein die Treue zur Hei­li­gen Über­lie­fe­rung. Die­se un­ver­fälscht und un­ver­kürzt zu be­wah­ren und in al­ler Wei­te und Tie­fe (Eph. III. 17–19) von Ge­ne­ra­ti­on zu Ge­ne­ra­ti­on wei­ter­zu­ge­ben bis ans Ende der Zeit ist Auf­ga­be der kirch­li­chen Hier­ar­chie, des Mönch­tums und des gan­zen christ­li­chen Vol­kes (Ple­ro­ma). Al­les dies ge­hört zur Hei­li­gen Über­lie­fe­rung.

Hier auf Er­den, in Raum und Zeit, nimmt die eine hei­li­ge, all­be­wah­ren­de (ka­tho­li­sche) und apos­to­li­sche Kir­che Got­tes in den ver­schie­de­nen Län­dern kon­kre­te Ge­stalt an, in­dem sie sich auf wun­der­ba­re Wei­se über­all mit Spra­che und We­sens­art des je­wei­li­gen Vol­kes ver­bin­det. So ha­ben sich im Lau­fe der Zeit vie­le ei­gen­stän­di­ge or­tho­do­xe Kir­chen­tü­mer ge­bil­det, wie wir sie heu­te als grie­chi­sche, ge­or­gi­sche, bul­ga­ri­sche, rus­si­sche, ser­bi­sche, ru­mä­ni­sche, ja­pa­ni­sche, ame­ri­ka­ni­sche usw.Kir­che ken­nen. In jüngs­ter Zeit ent­wi­ckeln sich in Afri­ka so­wie in Mit­tel- und Süd­ame­ri­ka neue or­tho­do­xe Tra­di­tio­nen und Kir­chen­tü­mer. So ist bei­spiels­wei­se die In­dia­ner­spra­che der Ma­yas or­tho­do­xe Lit­ur­gie­spra­che ge­wor­den. Ge­mäß der Hei­li­gen Über­lie­fe­rung wird seit je­her der Got­tes­dienst in der Volks­spra­che ge­sun­gen. Ein über­zo­ge­ner Na­tio­na­lis­mus frei­lich ist mit der Or­tho­do­xie un­ver­ein­bar. Wo ein Volk, eine Spra­che oder Na­ti­on sich zum al­lei­ni­gen Aus­druck des Or­tho­dox­seins macht, ge­schieht wie­der­um Göt­zen­dienst. Gleich­wohl be­wahrt die or­tho­do­xe Kir­che über­all nicht al­lein den wah­ren Glau­ben, son­dern sie be­wahrt, ver­edelt und hei­ligt zu­gleich Spra­che, Volk und Volks­tum. Das Volk wie­der­um trägt, be­wahrt und ehrt sei­ne recht­eh­ren­de Kir­che. Die­ser le­ben­di­ge Zu­sam­men­hang kann nicht ohne Scha­den für das Gan­ze auf­ge­löst wer­den. Man­che eu­ro­päi­sche Völ­ker sind trotz po­li­ti­scher und kul­tu­rel­ler Un­ter­drü­ckung in Zei­ten der Fremd­herr­schaft al­lein durch das or­tho­do­xe Chris­ten­tum be­wahrt worden.

Die je­wei­li­gen «Kir­chen­tü­mer» (Pa­tri­ar­cha­te, Erz­diö­ze­sen, Orts­kir­chen) sind ent­we­der or­ga­ni­sa­to­risch, recht­lich und in ih­ren In­sti­tu­tio­nen völ­lig ei­gen­stän­dig (au­to­ke­phal), oder nur lose an die je­wei­li­ge Mut­ter­kir­che ge­bun­den (au­to­nom). So­lan­ge die Hei­li­ge Über­lie­fe­rung vor Ort auf al­len Ebe­nen un­ver­kürzt und un­ver­fälscht be­wahrt und ge­lebt wird, sind Ka­tho­li­zi­tät und Ein­heit der Kir­che ge­ge­ben, ohne daß es dazu ir­gend äu­ße­ren Zwan­ges be­dürf­te. Und soll­te in ei­nem Kir­chen­tum die Or­tho­do­xie ernst­haft be­schä­digt wer­den, wie es in die­ser ge­fal­le­nen Welt we­gen der Schwach­heit der Men­schen und durch die Ma­chen­schaf­ten des Bö­sen durch­aus ge­sche­hen kann, so kann dank der de­zen­tra­len Struk­tu­ren von an­de­ren Kir­chen­tü­mern her die Ganz­heit und Un­ver­sehrt­heit der Hei­li­gen Über­lie­fe­rung wie­der­her­ge­stellt wer­den. Hier­zu die­nen auch Syn­oden und Kon­zi­li­en, auf de­nen Ver­tre­ter der ver­schie­de­nen Orts­kir­chen und Kir­chen­tü­mer zu­sam­men­kom­men, aber mehr noch das Le­bens­zeug­nis her­aus­ra­gen­der Hei­li­ger und geis­ti­ger Vä­ter. Über­lie­fe­rungs­treue, Hier­ar­chie, Au­to­no­mie und Syn­oda­li­tät sind un­auf­geb­ba­re Kern­prin­zi­pi­en or­tho­do­xer Ekklesiologie.