Deutsche Orthodoxie

“Wer sich auf die Su­che nach den geis­ti­gen Wur­zeln Eu­ro­pas be­gie­bt, stößt, wo auch im­mer, frü­her oder spä­ter auf das or­tho­do­xe Christentum.”
(Arch. Jo­han­nes, Abt v. Buchhagen)

DAS ORTHODOXE CHRISTENTUM be­wahrt bis auf den heu­ti­gen Tag den ur­sprüng­li­chen christ­li­chen Glau­ben. Or­tho­dox, d.h. recht­eh­rend le­ben be­deu­tet vom gott­mensch­li­chen Mys­te­ri­um her le­ben. Die christ­li­che Ur­er­fah­rung ist in Kult, Le­ben und Leh­re der recht­eh­ren­den Kir­che ge­faßt; sie er­neu­ert sich im ge­heim­nis­vol­len Zu­sam­men­wir­ken Got­tes mit den­je­ni­gen, die Ihn in Geist und Wahr­heit an­be­ten (Joh. IV. 24), Ihm nach­fol­gen und in al­lem treu sind.

In Deutsch­land ist die Or­tho­do­xie vor al­lem als rus­si­sche, grie­chi­sche, ru­mä­ni­sche, bul­ga­ri­sche, ser­bi­sche usw. Kir­che be­kannt. Oft wird der Sam­mel­be­griff Ost­kir­che ver­wen­det. Da­mit ver­bin­det sich die Vor­stel­lung, das or­tho­do­xe Chris­ten­tum sei et­was Frem­des und an ost­eu­ro­päi­sche Volks­zu­ge­hö­rig­kei­ten ge­bun­den, wäh­rend man als Christ im „Wes­ten“ eben Pro­tes­tant, Ka­tho­lik oder Frei­kirch­ler sein müs­se. Die­se Vor­stel­lung ist falsch; ihre Ur­sa­chen lie­gen au­ßer­halb der gött­li­chen Of­fen­ba­rung und des christ­li­chen Glau­bens. Die ers­ten Chris­ten un­ter den Ger­ma­nen wa­ren or­tho­dox. Erst in der Fol­ge der frän­ki­schen Er­obe­run­gen wur­den äl­te­re deutsch­spra­chig-or­tho­do­xe Tra­di­tio­nen, wie in Thü­rin­gen und Bay­ern, la­ti­ni­siert und der rö­mi­schen Kir­che an­ge­schlos­sen, wo­bei das Wir­ken des Bo­ni­fa­ti­us im 8. Jh. eine gro­ße Rol­le spielte.

Nach Jahr­hun­der­ten des ge­mein­sa­men We­ges be­gann der Wes­ten ab dem 8./9. Jahr­hun­dert sich von der al­ten Or­tho­do­xie zu ent­fer­nen. Das führ­te schließ­lich im Jah­re 1054 zur Tren­nung der la­tei­nisch-rö­mi­schen von der recht­eh­ren­den (or­tho­do­xen) Kir­che. Im Lau­fe des Hoch­mit­tel­al­ters und der Neu­zeit hat sich die­se Kluft wei­ter vergrößert.

Die Or­tho­do­xie grün­det sich seit je be­wußt in der Ewig­keit und wahrt un­be­dingt die Treue zur Hei­li­gen Über­lie­fe­rung. Sie ist stark von der my­stischen Theo­lo­gie ge­prägt und paßt sich dem Zeit­geist nicht an, weil dies zu Tra­di­ti­ons­ver­lus­ten führt, die vom or­tho­do­xen Stand­punkt her be­trach­tet Geist und Le­ben der Kir­che nach­hal­tig schä­di­gen. Die «Tren­nung» be­ruht also kei­nes­wegs nur auf po­li­ti­schen Dif­fe­ren­zen und kul­tu­rel­len Prä­gun­gen, son­dern hat erns­te in­halt­li­che Gründe.