Der Mysteriencharakter des orthodoxen Gottesdienstes verdichtet sich in der göttlichen Liturgie, der Feier des gottmenschlichen Mysteriums schlechthin. Der Mitvollzug der Mysterienfeier und die Teilhabe an den, wie der heilige Johannes Goldmund (Chrysostomos) es ausdrückt, heiligen, gewaltigen und schrecklichen Mysterien fordert vom Gläubigen eine entsprechende Haltung sowie besondere innere und äußere Vorbereitung. Auf liturgischer Ebene geschieht dies durch die Mitfeier der Heiligen Vesper am Vorabend, durch Fasten und Enthaltung vor der Liturgie, durch würdige Kleidung und Haltung sowie durch den sorgfältigen Mitvollzug der heiligen Gesten der Anbetung und Verehrung. Die geistige Ebene wird in der Mystagogie des heiligen Maximos des Bekenners beschrieben. Während der Feier des Orthros empfängt der diensthabende Priester den Segen vom Abt und nimmt Zeit, d.h. er beginnt mit den Stufengebeten. Dann vollzieht der Priester am Rüstaltar (Prothesis) einen besonderen Ritus zur Bereitung der Gaben.
1. Vorbereitung der Zelebranten
a) Zeit nehmen. Gebete des Priesters, mit denen er sich, nachdem er den Segen vom Abt empfangen hat, an der Bilderwand in mehreren Schritten auf den heiligen Dienst vorbereitet.
b) Bekleidung der Priester und Diakone mit den heiligen Gewändern im Diakonikon, was unter entsprechenden Gebeten vollzogen wird.
2. Zurüstung (Proskomidie)
a) Bereitung der Opfergaben. Brot und Wein werden unter Vergegenwärtigung des einmaligen und unwiederholbaren Opfers Jesu Christi zubereitet. Dabei wird aus dem Weihebrot der Mittelteil, das Lamm, herausgeschnitten, auf den Diskos gelegt und rituell angeschnitten (… wie ein Lamm ward Er zur Schlachtbank geführt, …) sodann Wein und Weihwasser in den Kelch gegossen (… ein Krieger durchstach Seine Seite mit einem Speer, und sogleich quollen Blut und Wasser hervor …)
b) Hinzufügung weiterer Teilchen des Weihebrotes für die Mutter Gottes, die Engel und Heiligen, den Altvater und den Bischof, für diejenigen lebenden und verstorbenen Gläubigen, die in den Gedenkbüchern des Heiligtums verzeichnet sind, sowie für jene, für die einzelne Gläubige Opferzettel abgegeben haben.
c) Verhüllung der Gaben. Sodann werden Kelch und Diskos mit kreuzförmigen Tüchern und beides mit einem größeren Tuch, dem Wind, umhüllt, was auf die dem menschlichen Verstand und den äußeren Sinnen unerkennbare Seite des Mysteriums verweist.
d) Segnung und Weihrauch. Schließlich setzt der Priester das eine ewige Opfer und das liturgische Geschehen und die Gedenken und Fürbitten und alle Gaben zueinander in Beziehung und segnet alles mit dem Zeichen des Kreuzes und heiligem Weihrauch.
WORTTEIL
3. Eröffnungsteil (Enarxis) mit Einzug
Ist ein Bischof zugegen, wird er zunächst von den übrigen Zelebranten an der Tempeltüre in Empfang genommen und durch Narthex und Königstüre in die Mitte des Tempels geführt (meist etwas westlich der Mitte, mitunter gleich an der Türe), wo dann alle weiteren Zelebranten den Segen von ihm empfangen. Der im Rang nächste nach ihm geht zum Altar und spricht den Eingangssegen. Der Bischof bleibt bis zum Einzug am Ambo, wo er von Diakonen mit den heiligen Gewändern bekleidet wird.
Trinitarischer Eingangssegen. „Gesegnet sei das urewige Reich des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, wie es war im Anfang, so auch jetzt und alle Zeit und in Ewigkeit.“
Große Fürbitten, erstes Priestergebet.
Erster Wechselgesang, i.d.R. Psalm 102. Festtage haben hier eigene Psalmen.
Kleine Fürbitten. Zweites Priestergebet.
Zweiter Wechselgesang, i.d.R. Psalm 145. Festtage haben hier eigene Psalmen.
Hymnos O Eingeborener Sohn, Ewiges Wort …
Kleine Fürbitten. Drittes Priestergebet.
Dritter Wechselgesang, die Seligpreisungen. Festtage haben hier eigene Psalmen.
Einzug. Unter dem Gesang des „Rette uns, Sohn Gottes, der du …(Festmotto)“ ziehen die Zelebranten auf den Ambo in der Mitte des Tempels, der heute meist nur noch durch eine entsprechende mehr oder weniger kunstvolle Markierung auf dem Fußboden angedeutet ist. Dabei trägt der Diakon das Evangeliar. Der Hauptzelebrant (Proestos, d.h. Bischof oder Abt oder der sonst ranghöchste Priester) segnet den Einzug.
Festgesänge. Der Chor singt die Hymnen des Tages und die Troparien des Klosters bzw. des Tempels, zuletzt den Hymnos zur Mutter Gottes „Hilfe der Christen …“.
4. Lesungen
Priestergebet zur Einleitung des dreiheiligen Hymnos (Trishagion).
Der dreiheilige Hymnos (Trishagion) wird im Wechsel von Chor/Gemeinde und Altar gesungen, wobei nach jeder Anrufung die entsprechende Gebetshaltung (Oranta) in einer tiefen Verbeugungen (Metanien, Proskynesen) mündet.
Wechselgesang zur Einleitung der Lesungen (Prokimenon, von gr. pro = vor und keimenon = Text, also: was vor dem Text steht). Das sind Psalmverse, die der Vorsänger einzeln vorträgt, wobei der Chor den ersten Vers oder Halbvers als Kehrvers (Refrain) singt. Das Prokimenon ist gewissermaßen ein „Motto“ für den Festgedanken des Tages.
Lesung aus der Apostelgeschichte oder den apostolischen Briefen.
Alleluja. Das Alleluja wird von allen gesungen, der Chor fügt zwischen den Allelujarufen wiederum Psalmverse ein. Dabei weihräuchert der Vorsteher am Altar und, von der Solea aus, die Bilderwand und die Gläubigen.
Friedensgruß und Evangelium. Der Diakon empfängt vom Vorsteher das Evangeliar und trägt es in feierlicher Prozession zum Ambo in der Mitte des Tempels, wo ein Schlangenpult aufgebaut ist (… so wie Mose in der Wüste eine Schlange erhöht hat, also muß des Menschen Sohn erhöhet werden …). Nach entsprechenden Segnungen und Gesängen im Wechsel von Vorsteher und Gemeinde trägt der Diakon das Evangelium des Tages vor, und zwar immer in einer besonderen, rituellen Gesangsart, dem sogenannten Leseton.
Homilie. Nach der Rücktragung des Evangeliars segnet der Vorsteher mit diesem die Versammlung und er, oder ein anderer Priester, legt die Schrift aus. Dabei soll gemäß der heiligen Überlieferung besonders der geistige Sinn verdeutlicht werden.
Große allgemeine Fürbitten.
Fürbittengebet für die Katechumenen, sonnabends außerdem besonders für die Verstorbenen.
Entlassung der Katechumenen. Zur Feier der heiligen Mysterien begeben sich alle, die nicht im inneren Tempel bleiben dürfen (Katechumenen, Energumenen, Unvorbereitete, Andersgläubige usw.) in den Vortempel (Narthex). Sie nehmen dort aber gleichwohl weiter am Gottesdienst teil, indem sie möglichst alle Verbeugungen, Gesänge und liturgischen Interaktionen sorgfältigst mitvollziehen, weil der Stand der Katechumenen ja ein Stand des Lernens und Einübens der Orthopraxie ist. Im inneren Tempel gelten jetzt die strengsten Regeln, und jeder, der dort anwesend ist, muß selbstverständlich alle Riten und Verehrungen (Niederwerfungen, Verbeugungen, Gebete, usw.) vollständig mitvollziehen.
Nach der frühchristlichen Arkandisziplin (von lat. Arkanum = heiliges Geheimnis, Mysterium) dürfen sich nur vorbereitete orthodoxe Christen während der Mysterienfeier im inneren Tempel aufhalten. Wer im Stand der Sünde ist oder eine ernsthafte Verfehlung nicht rechtzeitig vorher beichten konnte, kann ebenfalls, als Energumene, nur im Vortempel an der Mysterienfeier teilnehmen. Das bedeutet nach den Erklärungen der Väter, daß auch die Gläubigen, die im inneren Tempel bleiben, nun alles, was an ihnen äußerlich, weltlich und nicht Gott gemäß ist an Gedanken, Stimmungen, Haltungen und Erinnerungen fortschicken müssen. Die Arkandisziplin symbolisiert sowohl das jüngste Gericht als auch Entscheidung und Reinigung, welche jeder echten Gottesbegegnung vorausgehen müssen.
MYSTERIENTEIL
5) Großer Einzug.
Fürbitten und Priestergebete für die Gläubigen.
Cherubischer Hymnos und Weihrauchdarbringung. Der Chor singt den ersten Teil des cherubischen Hymnos „Himmlische Scharen der Cherubim bilden wir im Mysterion ab, und singen der lebenspendenden Dreifaltigkeit den dreiheiligen Hymnos, all irdische Sorge laßt fahren dahin.“ Unter diesem Gesang bringt der Vorsteher, begleitet von Diakonen und ggf. Lichtträgern, im Allerheiligsten und im ganzen Tempel Weihrauch dar, was das Nahen der Göttlichen Gegenwart anzeigt. Dabei erinnert er sich der Größe und Erhabenheit der nun beginnenden schaudererregenden Mysterien, der Heiligkeit Gottes und bittet für sich um Läuterung und um die Einwirkung der Gnade und Kraft des Heiligen Geistes für den heiligen Vollzug, wobei er selbst nicht der wirkende ist, sondern derjenige, durch den Christus, der Sohn Gottes und himmlische Hohepriester selbst, wirkt. In den folgenden Gebeten finden sich mehrere Bitten um Herabsendung des Heiligen Geistes, die später in der großen Herabrufung zur Wandlung (Epiklese) ihren Höhepunkt finden.
Großer Einzug. Priester und Diakone übertragen nun die vorgeheiligten Opfergaben vom Rüstaltar zum heiligen Hochaltar. Diese feierliche Prozession hat mehrere Symbolebenen, derer jeder Gläubige nun sich erinnert und sie in ehrfurchtsvoller geistiger Schau kontempliert. In der Mitte des Tempels gedenken sie der Hierarchen; bzw. wenn ein Bischof zelebriert, überreichen sie nur die Gaben an der Paradiespforte dem Bischof, und dieser spricht das Gedenken.
Der Chor singt den zweiten Teil des Cherubischen Hymnos „Den König des Alls zu empfangen, geleitet in den Kreisen der Engel unsichtbar, Alleluja.“, während Priester und Diakone ins Allerheiligste ziehen. Der Vorsteher stellt die Gaben auf den Altar; dabei werden die Kreuztücher von Kelch und Diskos abgenommen und beides mit dem Wind verhüllt und beweihräuchert. Das begleitende Gebet entspricht einem Karfreitagshymnos und erinnert an Kreuz und Grab des Heilandes. Schließlich bittet er um den Segen für die folgenden heiligen Vollzüge, der mit den Worten des Engels Gabriels an Maria erteilt wird „Der Heilige Geist wird über dich kommen …“ und die Türen und der Vorhang der Heiligen Pforte werden geschlossen. Letzteres verweist darauf, daß alles, was fürder geschieht, den äußeren Sinnen und dem äußeren Verstand unzugänglich ist und nunmehr alles in geistiger Schau wahrgenommen werden muß.
Fürbitten und Gebete um die Annahme der dargebrachten Gaben.
6. Glaubensbekenntnis und Friedenskuß
Friedensgruß.
Aufforderung zum Bekenntnis.
Friedenskuß und Christusgruß zwischen allen Beteiligten (heute nur zwischen Klerikern)
Glaubensbekenntnis von Nikaia-Konstantinopel, von allen laut gesprochen.
7. Darbringung und Wandlung (Anaphora)
Wechselgesang zwischen Priester und Gemeinde zum eucharistischen Hochgebet „Höret, stehen wir in Ehrfurcht, haben wir acht, daß wir das heilige Opfer in Frieden vollbringen …“
Großes Priestergebet (Hochgebet) zur Darbringung (Opferung, Anaphora) „Wahrhaft würdig ist es und recht …“ Dieses Gebet beginnt mit dem Lobpreis (Doxologia) und der Danksagung (Eucharistia) und mündet zunächst in den Engelgesang des dreimal Heilig.
Engelgesang „ Heilig, heilig, heilig ist Gott, der Herre Sabaoth …“, womit alle Anwesenden in die Chöre der Engel erhoben werden, d.h. ihr Bewußtsein zur geistigen Schau und zur Erkenntniskraft der Engel erheben sollen.
Gedenken (Erinnern, Anamnese) Fortsetzung des Priestergebetes zur Darbringung, Einführung der Einsetzungsworte und des Auftrages des Herrn vom Kardonnerstag.
Einsetzungsworte, wobei der Chor jedesmal ein melismatisches „Amen“ singt.
Darbringung der Opfergaben an Gott durch Erhebung (Anaphora, Elevatio) derselben mit überkreuzten Armen. Darauf singt die Gemeinde „Dir singen wir, Dich preisen wir, Herr, Dir danken wir und beten zu Dir, unser Gott“
Wandlung der Opfergaben durch Herabrufung des Heiligen Geistes (Epiklese). Der Priester führt das Hochgebet weiter bis zur Herabrufung des Heiligen Geistes, worauf Gott, der Heilige Geist, selbst die Wandlung wirkt. Darauf rufen alle laut dreimal „Amen“ und werfen sich mit der Stirn zu Boden, als Ehrfurchtsbezeugung gegen Gott, der nun im Fleisch erschienen ist. Die göttliche Gegenwart (Schechina) ist nun leibhaftig im Tempel gegenwärtig.
8. Gedenken der ganzen heiligen Kirche
Nach der Wandlung werden die bei der Zurüstung zurückgebliebenen Teile des Weihebrotes über den heiligen Gaben gesegnet. Da nun die Geburt Gottes im Fleische Gegenwart geworden ist durch die Wandlung der heiligen Gaben, singt der Chor den Hymnos der allheiligen Mutter Gottes „Wahrhaft würdig ist es, dich zu verherrlichen …“ und darnach das „Auf die Fürbitten Deiner Heiligen …“ solange, bis die priesterlichen Gebete beendet sind. Der Priester gedenkt unter diesen Gesängen des ganzen mystischen Leibes der Kirche, angefangen bei der allheiligen Mutter Gottes, über die Engel und Heiligen bis hin zu den Hierarchen, dem Altvater, den anwesenden Gläubigen und endet das Gedenken mit den Worten „… in allem und für alles“, worauf die Gemeinde antwortet „Für alle und für alles!“ Damit wird angedeutet, daß die gesamte Schöpfung, das All und alle Wesen in ihm durch diesen heiligen Vollzug mitgeweiht und geheiligt werden.
9. Vater Unser und Empfang der Gaben (Kommunion)
Friedensgruß.
Fürbitten mit Bezug auf die nunmehr gewandelten Gaben und Einleitung zum Herrengebet „Vater unser …“, das von allen laut gesprochen, manchmal auch vom Chor gesungen wird.
Verbeugung und Beugungsgebet.
„Das Heilige den Heiligen“ und die Antwort der Versammlung „ Einer ist heilig …“ Der Vorsteher erhebt das Lamm über dem Diskos, denn „hoch erhoben bist Du über alle Himmel“.
Brechung des Lammes, Mischung von Leib und Blut, und Hinzufügung des kochenden Wassers (Zeon) als Symbol der Glut der Liebe und des Heiligen Geistes und zum Zeichen, daß in den Heiligen Gaben der lebendige ewige Leib des Herrn, der Auferstehungsleib, gegenwärtig ist.
Gebete und Gesänge vor der Kommunion. Die Gebete werden von allen kniend gesprochen; sie sind erst in jüngerer Zeit eingefügt worden und erinnern nochmals an die Wirklichkeit, die sich den Gläubigen nun in Schau und Teilhabe mitteilt. Sodann trägt der Leser oder der Chor die Kommunionsgesänge oder Psalmen vor. Während nun Priester und Diakone am Altar kommunizieren, vollziehen die Gläubigen (nach der alten Sitte, die heute oft nur noch in Klöstern beachtet wird) ihre Verehrungen und stellen sich, geordnet nach Geschlecht und Alter, in einer Schlange vor der Heiligen Pforte auf.
Öffnung der Paradiespforte, Hervortragung des Kelches und Kommunion der Gläubigen. Sobald der Vorhang geöffnet wird, werfen sich die Gläubigen mit der Stirn zu Boden, womit sie den nunmehr erschienen und hervortretenden Herrn begrüßen, und singen das „Gelobet sei der da kommt im Namen des Herrn“. Dann erheben sie sich wieder, stellen sich in der rechten Reihenfolge ehrfurchtsvoll mit vor der Brust überkreuzten Armen auf und singen das „Empfanget den Leib Jesu Christi und trinket von dem Quell des ewigen Lebens, Alleluja“. Unter letzterem Gesang tritt jeder einzeln herzu und der Priester reicht jedem Leib und Blut Christi mit einem Löffel. Zuletzt segnet der Priester die Versammlung mit dem erhobenen Kelch, wendet sich wieder zurück und setzt den Kelch auf dem Alter ab.
10. Rückübertragung zum Rüstaltar und Schluß
Während der Priester die Reste des Opferbrotes in den Kelch füllt, singt die Gemeinde oder der Chor das „Wir haben das wahre Licht gesehen …“ Sodann tragen er und der Diakon Kelch und Diskos zurück zum Rüstaltar, wo dann ein Priester oder Diakon die übrigen Gaben verzehrt und den Kelch sorgfältig unter entsprechenden Riten reinigt.
Schlußfürbitten.
Ambogebet. Hierzu steht der Priester wieder auf dem Ambo in der Mitte des Tempels.
Abschließende Wechselgesänge und Schlußsegen. Zuletzt reicht der Priester jedem das Segensbrot (Antidoron). Dabei küßt jeder zuerst das Kreuz, das der Priester in der linken Hand trägt, dann legt der Gläubige die geöffnete rechte in die linke Hand und empfängt so das Segensbrot aus der rechten Hand des Priesters, wobei er die rechte Hand des Priester küßt und sich mit einer Verbeugung entfernt. Es gibt besondere mit Kreuzen verzierte Tücher, welche die Gläubigen in die rechte Hand legen, damit keine Krümel vom Segensbrot auf den Boden fallen, was eine Sünde wäre. Das Segensbrot wird auch Antidoron genannt, „Gabe anstatt“, weil es für diejenigen, die die Heiligen Gaben nicht empfangen haben, anstelle derselben gegeben wird.
Dankgebete. Der Leser rezitiert die „Gebete nach der Kommunion“.
Währenddessen verzehren die Gläubigen still einen Teil des Segensbrotes, einen Teil wickeln sie in das Tuch und nehmen es mit nach Hause, um jeden Morgen ein Stückchen davon zu essen und so die göttliche Kraft, die von der Mysterienfeier her darin wohnt, aufzunehmen. Die nicht kommuniziert haben, verehren die Ikonen wie gewöhnlich, der Priester legt unter entsprechenden Gebeten die heiligen Gewänder ab.
Man verläßt den Tempel schweigend oder bleibt noch zum stillen Gebet, um die großen Mysterien, derer wir gewürdigt wurden, nicht durch Geschwätz und Lärm zu verunehren.
Anmerkungen, Unterschiede zwischen Klöstern und Weltgemeinden
In der Ritualordnung (Typikon) der Liturgie gibt es keinen Unterschied zwischen Klöstern und weltlichen Kirchgemeinden, wohl aber gelegentlich in der Praxis, also der Art und Weise, wie die heiligen Handlungen vollzogen werden. Unabhängig davon gibt es starke regionale und nationale Unterschiede in Gesang und Mentalität, abgesehen von der Sprache, die ohnehin stets die Sprache des Volkes bzw. des Landes ist.
Im Klöstern ist z.B. grundsätzlich elektrische Beleuchtung im Tempel verboten, weil das natürliche Licht seine eigene Symbolik hat. Bienenwachs und Öl sind Opfergaben, die Gott dargebracht werden, um dann in Öllampen und Kerzen als Sinnbild des göttlichen, ewigen Lichtes zu leuchten. In den Weltgemeinden hingegen gibt es heute fast überall elektrisches Licht, weil kaum jemand mehr die aufwendige Pflege der Öllampen und die hohen Kosten für echte Bienewachskerzen auf sich nehmen möchte.
In Weltgemeinden wird auf die Bewahrung der Arkandisziplin leider oft verzichtet, zumal im Westen, nicht nur weil meist kein Vortempel vorhanden ist und eine gewisse Anonymität besteht. Auch die Verehrungsformen und Riten der Teilhabe der Gläubigen sind in den letzten Jahrzehnten sehr stark zurückgegangen, nicht zuletzt, weil einige damit angefangen haben, Stühle oder Bänke in die Kirche zu stellen und die Gläubigen auf den Status von Zuschauern zurückgedrängt werden. Viele Menschen empfinden das zwar als bequeme Annehmlichkeit, übersehen aber dabei die entsetzliche geistige Verödung, die damit einher geht. Entsprechend ist es in den Kirchen oft laut, es wird gesprochen, unnötig hin und her gelaufen, so daß es schwierig wird, im eigentlichen Sinne am Gottesdienst so teilzunehmen, wie es ursprünglich gedacht ist. Dazu paßt es, daß die Menschen keine angemessene Kleidung tragen, man sieht heute Männer in Jeans, Arbeits- oder Freizeitklamotten, manchmal sogar Frauen in Hosen und ohne Kopfbedeckung im Tempel, was nicht nur im krassen Widerspruch zum biblischen Gebot und den guten Sitten steht, sondern vor allem eine Entwürdigung und Beleidigung des Heiligtums und des Gottesdienstes ist, der dadurch gewissermaßen zum begafften folkloristischen Theater degradiert wird, dem man innerlich fremd gegenübersteht. Kleidung und Haltung sind alles andere als beliebig, sondern sie bergen stets einen Sinn, eine Botschaft, und sind, bewußt oder unbewußt, willentlich oder unwillentlich, Ausdruck der Haltung des jeweiligen Menschen Gott, dem Heiligen und seinen Mitmenschen gegenüber. Viele Unsitten resultieren aus Unwissenheit, sind der allgemeinen modernen antichristlichen Mentalität und Konsumhaltung geschuldet und dürfen auf keinen Fall als charakteristisch für den orthodoxen Kult angesehen werden; im Gegenteil. Wo die Kirche um die Menschen buhlt und es nur darum geht, möglichst viele Besucher zu haben, entsteht allzu schnell eine unangemessene Haltung („ der Kunde ist König“), die keinen Raum mehr für echte Hingabe und Religiosität läßt und dem Menschen das Wichtigste, nämlich die Anleitung zur Umkehr und zur Heiligung, vorenthält. Umso achtenswerter und kostbarer ist es, wenn trotz des herrschenden Zeitgeistes in nicht wenigen Kirchgemeinden eine bessere, überlieferungsgemäße, Haltung und Praxis gelehrt wird.
In traditionell orthodoxen Ländern ist das, wenn auch nicht mehr überall, so doch in vielen Gegenden, noch besser. Ehrfurcht und gute Haltung drücken sich praktisch aus, indem die Gläubigen sich durch strenges (oft über die kirchliche Regeln hinausgehendes) Fasten, durch Beichten, durch Bemühung um Überwindung von zwischenmenschlichen Konflikten usw. ernsthaft auf den Empfang der Kommunion vorbereiten und in würdiger Kleidung zur Kirche kommen. Was liturgisch in den heiligen Vollzügen offenbart und erfahren wird, muß ja durch konkretes Leben in der Gemeinschaft und persönliche Wandlung und Heiligung, in einer besonderen Kultur geistlichen Lebens, eingeübt und verwirklicht werden, denn „der Glaube ist tot ohne Werke“. Erst wenn alles, Geist und Leben, Kultus, rechte Ordnung, innere und äußere Haltung, Wissen und Erkenntnis, Tun und Lassen, Ethos, Leben, Glaube und Treue, Bekenntnis und Wirklichkeit zusammenkommen, wird auch der liturgische Bereich wirklich stimmig sein, werden Form und Inhalt, Sein und Bewußtsein miteinander im Einklang stehen und Gott und Mensch in heiliger Harmonie zusammenklingen.
Diese Stimmigkeit und Harmonie resultiert nicht allein aus dem guten Wissen um die liturgischen Zusammenhänge und die liturgische Symbolik, nicht allein aus dem Wissen um den sakramentalen und mystagogischen Gehalt und Sinn der Liturgie, sondern auch aus der konkreten Lebensgestaltung und dem aufrichtigen Mühen eines jedes Einzelnen um Läuterung und Heiligung.